10.11. - 10.11.2016

Lecture: Marina Tabassum

10.11.2016, 19 Uhr
Ort: S AM Schweizerisches Architekturmuseum, Steinenberg 7, 4051 Basel
Eintritt: 10.- CHF, erm. 8.- CHF
Sprache: englisch
Unterstützt von: Hans und Renée Müller-Meylan Stiftung

"Moscheen brauchen gar keine Minarette" sagt die bengalische Architektin Marina Tabassum, die gerade mit dem wichtigsten Architekturpreis der Islamischen Welt, dem Aga Khan Award, ausgezeichnet wurde. Auch ihre Bait Ur-Rouf-Moschee, die
sie in der 17-Millionen-Metropole Dhaka/Bangladesch gebaut hat, kommt ohne Minarett oder traditionelle Kuppel aus.
Tabassum setzt ganz bewusst auf die zeitgenössische Interpretation einer religiösen Architektur unter Verzicht aller religiöser und ikonographischer Kennzeichen. Die Moschee wurde als multifunktionaler Raum für die Gemeinde konzipiert, wo neben dem Beten auch soziale und kommunale Aktivitäten stattfinden können. Diese Verbindung zwischen profaner und sakraler Welt zeigt sich aber nicht nur in der Nutzung des Gebäudes sondern auch in der Gestaltung. So ist das Gebäude von aussen betrachtet nicht als Moschee erkennbar – zeigt sich einladend und frei von religiösen Symbolen. Nur aus Ziegelsteinen und Beton entworfen, verzichtet das Gebäude auf Fenster und technische Installationen – Licht und Luft strömen durch eine Vielzahl kleiner Öffnungen bedingt durch die verschiedenen Anordnungen der Ziegelsteine in der Aussenfassade. Beim Betreten der Moschee haben die Besucher das Gefühl, als beträten sie ein Labyrinth – bis sie die Gebetshalle im Innern erreicht haben, können sie alle Alltagssorgen abschütteln und sich ihrer kontemplativen Tätigkeit hingeben.
Dass das Gebäude ausschliesslich mit natürlicher Belüftung auskommt, ist ebenso untypisch wie radikal für die Region mit ihrem agressiven feucht-heissen Klima, ergibt ökonomisch aber viel Sinn, weil die Energieversorgung teuer und oft unzuverlässig ist. Zum anderen lässt die Architektur ihre Benutzer so immer noch die Verbindung zur Stadt spüren, ein Luxus in einer Stadt, wo die meisten öffentlichen Gebäude klimatisiert und damit von ihrer Umgebung weitgehend abgeschottet sind. Marina Tabassum gehört zu einer Generation jüngerer Bengalischer Architekten, die die traditionelle Architektur ihres Landes auf beeindruckende Weise neuinterpretieren. Ihre zeitgenössisch radikale Architektursprache verweist auf poetische Weise auf ihre traditionellen Quellen. Der Verzicht auf überzogene technische Ausstattung und die Rückbesinnung auf das lokale Handwerk vermeiden lange Transportwege und ermöglichen ein kostengünstigeres und nachhaltigeres Bauen.
Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Architektur unter Berücksichtigung ihrer kulturellen Quellen als gültigem Fundament riss in Bangladesch nie ab. Dies ist ganz wesentlich ein Verdienst des bengalischen Architekten und Denkers Muzharul Islam. In den USA ausgebildete Architekt war stets betrebt, zwischen Tradition und Moderne zu vermitteln und Lokalität und Internationalität gleichermassen zu würdigen. Er holte internationale Protagonisten für wichtige Bauaufgaben nach Bangladesch – so auch Louis Kahn für den Bau des Nationalparlamentes in Dhaka. Er entdeckte und förderte aber auch viele der wichtigen jungen Architekten des Landes – so auch Marina Tabassum. Die heutige Architekturdebatte ist von einer Architektengeneration getragen, die von den Gedanken Muzharul Islams geprägt ist. Viele der heutigen Protagonisten waren Studenten oder Weggefährten von Muzharul Islam und haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einer eigenständigen Architekturszene formiert, die die gesellschaftlichen und architektonischen Anliegen ihrer Vorgänger zeitgemäss weiterführt. Immer wieder ist es diese lose Gruppierung, die trotz rasantem, globalem Entwicklungsdruck gemeinsam für architektonische Werte und für ein Bewusstsein um die bengalische Kultur eintreten. Nebst eindrücklichen gebauten Werken gehören auch Lehre und Vermittlung zu einem festen Bestandteil dieses aussergewöhnlichen Engagements auf unterschiedlichen gesellschaftsrelevanten Ebenen.
Marina Tabassum Architects ist Teil dieser vibrierenden Architekturszene von Bangladesch, die, obwohl hier noch völlig unbekannt, international bereits als Geheimtipp gilt.
Winter 2017 eröffnet das S AM die gemeinsam mit dem Luzerner Architekten Niklaus Graber kuratierte und weltweit erste eigene Ausstellung hierzu.